Beitrag von Prof. Dr. Martin Honecker: 4. Berliner Theologisches Gespräch

27.11.2000 im Dietrich-Bonhoeffer-Haus in Berlin

Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften

Evangelische Verantwortung und politische Herausforderung

Vielen Dank für die Einladung und die freundliche Begrüßung.

In den 70er und 80er Jahren war ich immer wieder in Berlin in dieser Gegend, vor allem in der Auguststraße. Viel hat sich seitdem geändert. Zu den Änderungen gehört sicher auch das heutige Thema. Schon die Bezeichnung ist sehr unterschiedlich: Gleichgeschlechtlichkeit, Homosexualität, Homophilie, Schwule und Lesben.

Zunächst einmal möchte ich einfach an das erinnern, was sich in der Beurteilung der Homosexualität unbestreitbar geändert hat. Wir reden heute nicht mehr – wie die Tradition - vom Laster, von einer Perversion, von Sünde, wir reden ebenfalls nicht von Krankheit, wir fordern nicht mehr, dass der Homosexuelle therapiert werden muss, wir reden auch nicht mehr von Abnormität, sondern wir sind heute bei dem Begriff der Andersheit angelangt.

Bei der Andersheit stellt sich dann die Frage nach der Anerkennung des Andersseins und einer Gleichstellung, und es ist zunächst einmal zu fragen, ob Gleichstellung und Nichtdiskriminierung dasselbe beinhalten.

Diskriminiert werden Menschen, werden Personen. Gleichstellung kann ebenfalls heißen, dass Personen Anerkennung und Schutz erfahren sollen. Gleichstellung kann aber auch besagen, Gleichstellung im Blick auf Lebensformen, auf institutionelle Regelungen. Wenn die Lebensformen gleichgestellt werden, dann führt dies zu einer Preisgabe der Leitbildfunktion der Ehe.

Das Thema ist überdies außerordentlich vielschichtig und umfassend. Es ist mit vielen anderen Fragestellungen verknüpft.

Man müsste dazu Überlegungen zur Ehe und Familie, zum Umgang mit Sexualität überhaupt, zum Verhältnis von staatlichem Recht oder öffentlicher Darstellung von Sexualität und privater Lebensgestaltung anstellen; Einzugehen wäre auch auf die Pluralisierung der Lebensformen in der westlichen Welt. Rein zahlenmäßig betrachtet ist ja die Thematik der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft nach allen Beobachtungen nicht so interessant, von der Zahl hergesehen, vom Quantum her, wie etwa die nichtehelichen Lebensgemeinschaften, die zahlenmäßig viel mehr ins Gewicht fallen.

Diskutieren kann ich auch nicht über die Entstehung, die Ätiologie von Homosexualität, sondern ich beschränke mich auf das aktuelle Thema, auf das gerade im parlamentarischen Verfahren befindliche Gesetz zur Beseitigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften.

Als erstes ist festzuhalten, dass man sich täuscht, wenn man annehmen würde, dass mit der Verabschiedung des Gesetzes die Diskussionen weniger werden und das Thema erledigt sei, und zwar unabhängig davon, wie das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird. Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, dass die Diskussion dann zwar an Heftigkeit nachlässt, aber nach wie vor bestehen bleibt.

Zu verweisen ist auf die skandinavischen Länder. 1988 hat Dänemark als erstes Land ein Gleichstellungsgesetz eingeführt. In Dänemark ist die Lutherische Kirche, die zwar eine Volkskirche ist, aber in der Öffentlichkeit wenig sagt und zusagen hat, davon unberührt geblieben. Die Gleichstellung in Norwegen und Schweden aber hat zu heftigen innerkirchlichen Debatten und Kontroversen geführt, wobei die Bischöfe mehrheitlich für die Gleichstellung waren, während der pietistische Teil der Kirche dagegen war. In Finnland führte der Widerstand der stärker pietistisch konservativ orientierten Gruppierungen dazu, dass bislang die Gesetzgebung noch nicht erfolgt ist.

Was will man nämlich erreichen mit einem Gesetz? Die Antwort lautet: Das Ende der Diskriminierung! Es ist sicher richtig, dass homosexuelle Menschen, oder wie ich es oft höre, Schwule und Lesben, nicht diskriminiert werden dürfen. Aber, was heißt Diskriminierung? Ist es schon Diskriminierung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft, wenn sie nicht in allem der Ehe gleichgestellt wird? Eingangs zitierte der

ehemalige Landwirtschaftsminister, Jochen Borchert (MdB), den Grundsatz: "Gleiches gleich, Ungleiches ungleich behandeln". Um die Anwendung dieser Regel geht der Streit.

Die Evangelische Kirche in Deutschland hat Anfang des Jahres 2000 zur Verbesserung des Rechtschutzes für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften und zur besonderen Bedeutung und Stellung der Ehe Stellung genommen, als der Gesetzentwurf veröffentlicht wurde. Die Stellungnahme steht unter dem Titel: "Verlässlichkeit und Verantwortung stärken". Die Stellungnahme des Kirchenamtes der EKD betont: Es sei die Überzeugung der evangelischen Kirche, dass Ehe und Familie der Normalfall des Zusammenlebens bleiben werden und als solcher zu würdigen sind. Deshalb warnt sie vor der Institutionalisierung einer sogenannten "kleinen Ehe", die die Folge hätte, die Institution Ehe zu schwächen und auszuhöhlen. Aber die Stellungnahme will gleichwohl angesichts veränderter Rechtslagen und gesellschaftlicher Verhältnisse, und trotz des Ausgehens von der Orientierungskraft der Ehe als Leitbild, für das auf Dauer angelegte Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Partner, Abwägungen im Blick auf einzelne, konkrete Änderungen im Mietrecht, im Erbrecht, beim Zeugnisverweigerungsrecht und im Zivilrecht anregen. Also die EKD tritt durchaus für eine Verbesserung der rechtlichen Stellung homosexueller Partnerschaften ein.

Abgelehnt wird allerdings die Möglichkeit gemeinschaftlicher Adoption durch gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften. Zurückhaltend beurteilt wird zudem die Übertragung sozial und steuerrechtlicher Regelungen, die für Ehen und Familien mit Kindern bislang gelten, auf gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften. Grundsätzlich spricht sich die Evangelische Kirche deswegen gegen die Einrichtung eines neuen familienrechtlichen Instituts für gleichgeschlechtliche Partnerschaften aus, weil diese mit der Ehe verwechselt werden könnten. Schließlich wird gewarnt vor der Überschätzung neuer rechtlicher Regelungen für gleichgeschlechtliche Partnerschaften.

Von dieser Stellungnahme gehe ich bei meinen Überlegungen aus. Sie äußert sich differenziert. Sie entwirft kein Zerrbild gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und sieht dennoch Unterschiede zur Ehe. Ich teile diesen Standpunkt.

Die Katholische Kirche ist hier in der Ablehnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften wesentlich entschiedener und schärfer. Zu zitieren sind die einschlägigen Aussagen aus dem Katechismus der Katholischen Kirche, dem Weltkatechismus, : "Gestützt auf die Heilige Schrift, die Homosexualität als schlimme Abirrung bezeichnet, hat die kirchliche Überlieferung stets erklärt, dass die homosexuellen Handlungen in sich nicht in Ordnung sind. Sie verstoßen gegen das natürliche Gesetz, denn die Weitergabe des Lebens bleibt beim Geschlechtsakt ausgeschlossen: Sie entspringen nicht einer wahren affektiven und geschlechtlichen Ergänzungsfähigkeit: Sie sind in keinem Fall zu billigen". Das ist eindeutig. Danach wird freilich gesagt, homosexuell veranlagte Frauen und Männer dürften nicht diskriminiert werden; auch sie seien berufen, in ihrem Leben den Willen Gottes zu erfüllen, und sie sollen deswegen durch Askese mit den Schwierigkeiten kämpfen, die ihnen aus ihrer Veranlagung erwachsen können. Daraus folgt: homosexuellen Frauen und Männern sei mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen. Und dann wird in Nummer 2359 gesagt: "Homosexuelle Menschen sind zur Keuschheit berufen".

Wenn man die beiden Stellungnahmen nebeneinander stellt, die EKD und Bischofskonferenz gleichzeitig zum Gesetzentwurf veröffentlichten, so fällt bereits der Umfang ins Auge: die Stellungnahme der EKD ist 8 Seiten lang, die katholische Stellungnahme der Bischofskonferenz etwas mehr als eine Seite. Bereits daran werden Wertungsunterschiede sichtbar.

Für die Orthodoxen Kirchen ist die Bewertung dieselbe, mit der Folge, dass die im Ökumenischen Rat der Kirchen geführte Diskussion um Homosexualität mit ein Grund ist, dass die Orthodoxen sich vom Ökumenischen Rat der Kirchen zurückziehen wäre. Für sie wäre eine gesetzliche Regelung, wie sie in Deutschland jetzt angestrebt wird, ebenfalls inakzeptabel. Das gilt auch für viele Kirchen in anderen Erdteilen. Darauf weise ich nur hin, weil hier deutlich wird, dass hier ökumenische Gegensätze aufbrechen können.

Im Folgenden beschränke ich mich auf eine evangelische Perspektive. Eine Formulierung im Unterthema lautet nämlich "Evangelische Verantwortung". Dabei gehe ich zunächst von den innerkirchlichen Kontroversen in Evangelischen Kirchen aus.

1992 hat die Rheinische Kirche, der ich angehöre, ein Arbeitspapier der Synode vorgelegt: "Homosexuelle Liebe", seinerzeit habe ich mich damals redlich und mühsam auch auf mancher Gemeindeveranstaltung mit diesem Proponendum auseinandersetzen müssen, was nicht immer leicht war. Die Streitpunkte wirken bis heute nach. Zum Beleg habe ich Ihnen hier einige Bücher mitgebracht, je nach Verlag können Sie sagen, evangelikal, fundamentalistisch oder progressiv, oder kontra – pro Neubewertung der Gleichgeschlechtlichkeit. Beides sind umfangreiche Bücher, die beide die selben Themenkreise behandeln, wenn auch ganz gegensätzlich in der Bewertung.

Das erste Problem, das sich für die Kirchen stellt, ist das Verständnis der Bibel.

Lassen Sie es mich vergröbert sagen: wir haben auf der einen Seite die Vertreter einer historisch kritischen Auslegung und auf der anderen Seite die Vertreter eines biblizistischen oder im Extremfall auch fundamentalistischen Umgangs mit der Bibel. Es geht dabei prinzipiell um die Verbindlichkeit von Bibel und Bekenntnis. Die Leitfrage ist: Wie sind heute die biblische Aussagen über Homosexualität zuverstehen und zu bewerten? Inwieweit gelten sie noch?

Vorweg sei festgestellt, dass Homosexualität ein absolutes Nebenthema der Bibel ist.

In der Verkündigung Jesu kommt das Thema Homosexualität überhaupt vor.

Aber es gibt im Alten und im Neuen Testament sehr eindeutige Aussagen zur Ablehnung homosexueller Praxis. Im 3. Buch Mose, in den Kapiteln 18 und 20 finden sich Aussagen, dann beim Apostel Paulus in Römer 1, 26 ff, 1. Korinther 6, 9-11 und im 1. Timotheus 1, 10, in denen durchweg Homosexualität negativ bewertet wird. Sie ist "Gräuel", sie ist schändliche Leidenschaft, sie ist Ungerechtigkeit, die vom Reich Gottes ausschließt, sie ist Verstoß gegen Gottes Willen und Gottes Gesetz. Nach

3. Mose 20, 13 sollten homosexuelle Praktiken unter Männer mit dem Tode bestraft werden. Diese rechtliche Forderung ist dann eingegangen in die Gesetzgebung des Kaisers Justinian, in das justinianische Reichsrecht.

Wie sind die biblischen Aussagen zu verstehen?

Deren Verständnis ist die hermeneutische Aufgabe, die Aufgabe der Auslegung. Die historisch kritischeBibelauslegung weist zuerst einmal daraufhin, dass diese Aussagen sich auf ein Verhalten beziehen, ich formulierte, auf eine Praxis. Dabei wird vorausgesetzt, dass dieses Verhalten steuerbar ist und willentlich beeinflusst werden kann. Es geht nicht um Neigungshomosexualität, sondern um homosexuelle Praxis, wobei heterosexuelle Veranlagung unterstellt wird. Die anlagebedingte Homosexualität ist in der Bibel nicht im Blick. So dann wird man darauf aufmerksam machen müssen, dass die Verwerfung der Homosexualität im Alten Testament im Zusammenhang mit anderen abgelehnten religiösen, zum Teil kultischen Handlungen gesehen wird, beispielsweise Kinderopfer, oderGeisterbeschwörung. Sexuelles Verhalten ist für den alten Israeliten, genauso wie religiöses Fehlverhalten, eine schwere Störung und Verletzung der göttlichen Heiligkeitsphäre. Wenn ein solcher derartiger Tabubruch geschieht, dann zieht er notwendig göttliche Sanktionen und Strafen nach sich. Bei Paulus veranschaulicht in Römer 1-3 Homosexualität die Folgen der Vertauschung von Schöpfer und Geschöpf, der Lossagung der Sünden vom Schöpfer. Dahinter steht der Gedanke, dass der Mensch, der sich von Gott abwendet, Folgen für das Zusammenleben der Menschen auslöst. Diese biblische Sicht der Homosexualität steht auch hinter den Aussagen reformatorischer Bekenntnisse, zum Beispiel in der Augsburgischen Konfession, wenn sie vom Ehestand als von Gott geschaffenem Stand redet; wer nicht zur Ehe geschaffenen befähigt ist, von dem verlangen die Lutherischen Bekenntnisse, er soll enthaltsam leben.

Soweit dieser ganz skizzenhafter Rückblick auf Bibel und kirchliche Tradition. Dazu kann man natürlichunendlich viel mehr sagen. Die entscheidende Frage ist jedoch: wie verbindlich ist heute noch diese Bewertung? Welche ethischen Konsequenzen ziehen wir aus diesem Urteil der Bibel und Bekenntnisse. Je nach Einschätzung der Bedeutung der Bibelauslegung und der Verbindlichkeit des buchstäblichen Wortlautes der Schrift, wird die Antwort auf diese Fragen sehr verschieden ausfallen.

Als kritische Bibelauslegung verpflichteter Theologe vertrete ich nicht den Standpunkt, dass die Bibel ein für die Ethik in ihren wörtlichen Formulierungen verbindliches Gesetz ist. Anders gesagt, ich vertrete weder eine Verbalinspirationslehre, noch behaupte ich, dass die Autorität der Schrift auf den Wortlaut fixiert sei. Hinzugefügt sei, wenn die Schrift im legalistischen Verständnis verbindliches Gesetz sein sollte, dann gerät man auch anderwärts in erhebliche Schwierigkeiten. Ich deute nur solche Schwierigkeiten an, wenn ich an die biblischen Aussagen zur Todesstrafe in Römer 13, an manche Aussagen auch beim Apostel Paulus über die Frau, über Eigentumsverzicht und Askese, erinnere, und nicht zu vergessen, auch zum Frieden. In der Friedensdebatte wurde dann gestritten, ob man die Bergpredigt in konkrete, aktuelle Tagespolitik umzusetzen habe. Ich betone dann, biblische Aussagen bedürfen der Auslegung! Nur, was ist der Maßstab, die Norm der Auslegung? Als evangelischer Theologe unterscheide ich zwischen Gesetz und Evangelium und füge hinzu, Evangelium ist Einladung zum Glauben. Evangelium ist nicht einfach eine gesetzlich anwendbare Handlungsnorm. Von diesem Grundverständnis der Bibel als glaubensstiftender Bezeugung des Evangeliums aus, verstehe ich auch die Aussagen zur Gleichgeschlechtlichkeit. Als evangelischer Theologe habe ich alsoeine prinzipielle Vorverurteilung der Homosexualität als unvereinbar mit Gottes Schöpfer Willen mit Gründen des evangelischen Glaubens zu hinterfragen. Es kann doch nicht sein, dass jemand der homosexuell veranlagt ist, allein schon deshalb unter der Drohung von Gottes Gericht steht.

Nun kann man einwenden, ja führt das denn dann nicht zu einem prinzipiellen Relativismus, welcher derWillkür Tür und Tor öffnet? Was ist dann noch allgemein verbindlich? Es ging zunächst darum, zu verdeutlichen, dass der Grund innerkirchlicher Kontroversen Gegensätze hinsichtlich der Bewertung der Autorität der Bibel als Heiliger Schrift und der Geltung der Bekenntnistradition sind. Darüber hinaus geht es zugleich um die Einschätzung von Ehe und Familie als Orientierungsmaßstab. Nun hat angesichts mancherlei Debatten in Landeskirchen und Landessynoden, die teilweise sehr heftig werden, neben dem Rheinland hat sich besonders Nordelbien hervorgetan, aber auch das lutherische Bayern, und im lutherischen Hannover war es letztlich nur der Landesbischof, der auf die Bremse getreten ist, die synodale Mehrheit einer lutherischen Synode hätte ganz selbstverständlich anders entschieden. Angesichts dieser Lage hat die EKD 1996 eine Orientierungshilfe zum Thema Homosexualität und Kirche veröffentlicht "Mit Spannungen leben".

Diese Orientierungshilfe hat im Ergebnis weder die Evangelikalen, also die Bibeltreuen, noch die Gruppierung "HUK", Homosexuelle und Kirche, voll befriedigt. Beide haben Einwände erhoben. Die konkreten Anlässe zu dieser Orientierungshilfe will ich nicht erörtern; einmal ist die Frage, wie hält man es mit der Zulassung homosexuell lebender Menschen, die sich geoutet haben, zum Pfarramt, das war ja der Auslöser in den 70er Jahren in der hannoverschen Landeskirche, sodann die Debatte darüber, und wie hält man es mit der Trauung oder Segnung von Schwulen und Lesben.

Wiederum stimme ich den einzelnen Empfehlungen, also dem Ergebnis und der Grundausrichtung der Orientierungshilfe zu. Belegt wird durch sie, dass die Spannung zwischen der Nichtdiskriminierung homosexuell lebender Menschen und der Bewahrung der Leitbildfunktion von Ehe und Familie bestehen bleibt. Hinsichtlich der Argumentation habe ich freilich Schwierigkeiten mit diesem kirchlichen Text. Einmal wird nämlich in ihm gegenübergestellt das Liebesgebot als Inbegriff biblischer Orientierung einer christlichen Ethik und zum anderen die Hochschätzung der Lebensform, die es im Hinblick auf die Ablehnung der Homosexualität zu erörtern gilt. Nun gibt es zweifellos Gruppen von Menschen, homosexuelle, aber auch andere Gruppen, je nach Rasse, Geschlecht, Männer und Frauen, nationaler Zugehörigkeit, die durch gemeinsame Merkmale zusammengeschlossen sind und die gemeinsame Probleme haben. Die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe ist nach meiner Überzeugung kein Grund, sie von der Zusage in der Liebe Gottes und vom Anspruch des Doppelgebots der Liebe als Inbegriff der Orientierung für das mitmenschliche Zusammenleben auszuschließen. Denn das Liebesgebot gilt jedem Menschen. Es achtet und schützt ihn als Person. Es wahrt seine Würde; Würde hat jeder Mensch – und das ist nicht nur theologisch, sondern ganz allgemein zu sagen - unabhängig von seiner Besonderheit, seinem Sosein, seiner Eigenschaft, seiner Gruppenzugehörigkeit. Früher sagte man stattdessen gutlutherisch: "er gehört einem Stand", Standeszugehörigkeit ist von der allgemeinen Verbindlichkeit des Liebesgebots zu unterscheiden. Man kann nicht unter Berufung auf das Liebesgebot behaupten, alle Formen menschlichen Zusammenlebens und alle familiären Lebensformen seien gleichwertig.

Allerdings lehnt die Orientierungshilfe der EKD die Gleichrangigkeitsthese ebenfalls eindeutig ab. Sie tritt für Ehe und Familie als soziale Leitbilder ein, und erklärt: Ehe und Familie haben aus der Sicht des christlichen Glaubens Leitbildfunktion.

Daneben akzeptiert sie jedoch die Möglichkeit gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften und für diese sollen, abgesehen von der Generativität, also der Zeugung von Kindern, dieselben Kriterien gelten wie für Ehe und Familie, nämlich: Freiwilligkeit, Ganzheitlichkeit, Verbindlichkeit und Partnerschaftlichkeit. Dabei sehe ich aber nicht, dass die Stellungnahme der EKD zureichend bedacht hat, dass das Liebesgebot und eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft nicht auf der selben Argumentationsebene stehen.

Deshalb ist meines Erachtens die Berufung auf das Liebesgebot im Blick auf die rechtliche Ordnung zu pauschal. Festzuhalten ist, dass gerade auch in der EKD-Stellungnahme dieses Jahres nach wie vor im Blick auf den Gesetzgebungsvorschlag die Bedeutung von Ehe und Familie als Institution hervorgehoben wird, die das Zusammenleben von Menschen unter dem Aspekt von Sexualität und Generativität, also auch der Kinder, regelt.

Eine Vorgabe an die Verfasser durch den Rat der EKD war, die Orientierung an Schrift und Bekenntnis. Diese Vorgabe ist verständlich, aber auch nicht unproblematisch. Schrift und Bekenntnis sind nämlich Grundlagen der Evangelischen Kirche, wobei ich offen lasse, das ist ein eigenes großes Thema, in welchem Sinne und auf welche Weise sie Grundlagen eines bestimmten Kirchentums, einer Kirchenverfassung, etwa der Kirchenverfassung von Berlin-Brandenburg, sein können. Dabei geht es wiederum um die Auslegung von Schrift und Bekenntnis. Wenn man jedoch im Blick auf eine säkulare Gesellschaft und einen zu religiöser Neutralität verpflichteten Staat, die Sache bedenkt, dann kann man das Zeugnis der Schrift nun innerkirchlich geltend machen.

Wie argumentiert man somit, angesichts der gesellschaftlichen Diskussion und in einer politischen Auseinandersetzung, als evangelischer Christ?

Das ist die zweite Hälfte meiner Vorgabe, die andere sehr viel stärker ansprechen müssen: "Politische Herausforderung". Zunächst habe ich die Sicht von "Evangelischer Verantwortung" zu beschreiben versucht, nämlich als Verantwortung aufgrund des Evangeliums; dabei wurde evangelisch nicht in einem engen, konfessionellen Sinne verstanden, sondern ich habe gefragt, wie man Homosexualität und Glauben an das Evangelium zusammendenken kann. Evangelium nenne ich sehr knapp: Zusage der Gnade, Verkündigung der Rechtfertigung des Sünders, und damit jetzt nicht falsche Gedanken aufkommen, eines jeden Sünders, der wir selbst immer auch sind. Gottes Zuspruch der Rechtfertigung hat seinen alleinigen Grund im Christusgeschehen; er geschieht allein aus Gnade, allein im Glauben der sola fide, der sola gratia. Insoweit ist evangelisch verstanden Homosexualität als solche kein Grund, Menschen die Möglichkeit der Annahme des Evangeliums und des Glaubens abzusprechen. In dieser Hinsicht, das sei ganz offen gesagt, hat sich in der Kirchengeschichte ein Wertungswandel in Theologie und Kirche vollzogen. Das besagt jedoch nicht, dass damit die politische und kulturelle Entscheidung sekundär, ja nahezu beliebig wird.

Meine eigene Position ist gegen einen prinzipiellen Relativismus gerichtet. Wer nämlich dem Satz, der Grundthese, zustimmt, dass an der Leitbildfunktion von Ehe und Familie festzuhalten ist, steht vor einer Grundsatzentscheidung. Zu charakterisieren ist diese Entscheidung holzschnittartig als Verabsolutierung individueller Selbstbestimmung auf der einen Seite und Beschränkung von Selbstbestimmung und Selbstverwirklichungsansprüchen des Einzelnen zugunsten der Achtung von fundamentalen Institutionen menschlichen Zusammenlebens auf der anderen Seite. Wer die Selbstbestimmung zur obersten und einzigen Norm erklärt, wird daraus folgern, die Beseitigung der Diskriminierung Gleichgeschlechtlicher mache es erforderlich, dass man den Schutz von Ehe und Familie relativiert. Vor 20 Jahren habe ich eine Gruppe schwuler Studenten, keiner Theologiestudenten, in mein Seminar eingeladen und sie erklärten: "Wir werden diskriminiert". Und da habe ich gefragt: "Warum denn?" "Wir sind diskriminiert, weil das Grundgesetz in Artikel 6 GG sagt, Ehe und Familie stehen unter einem besonderen Schutz des Staates." Ich fragte: "Wie stellt ihr euch eine Alternative vor?" Antwort: "Der Artikel muss abgeschafft werden, Ehe und Familie müssen in das Vereinsrecht verlagert werden, so wie ein Kaninchenzüchterverein oder ein Sportverein in das Vereinsrecht eingetragen wird, soll also auch Ehe und Familie, in der Zukunft nach Maßgaben des Vereinsrechts geregelt werden. Solange institutionell Ehe und Familie bevorzugt sind, etwa im Steuerrecht, seien sie diskriminiert.

Nun hat der Staat sicher nichts im Schlafzimmer zu suchen, und ich füge hinzu, damit es deutlich ist, dass ich eine strafrechtliche Verfolgung homosexuellen Verhaltens in der Vergangenheit für ethisch außerordentlich fragwürdig, inhuman und falsch halte, also die Strafrechtsreform für überfällig gehalten habe.

Bereits gesagt wurde auch, dass die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Personen und gleichgeschlechtlicher Partnerschaften im Recht zu beseitigen ist. Wobei ich im Blick auf das Recht hinzufüge, im Sexualstrafrecht gelten die selben Sanktionsgründe wie für Heterosexuelle, also z. B. Missbrauch Minderjähriger, Ausnützung von Abhängigkeit, gewaltsame Nötigung usw.. Das ist nicht im einzelnen zu entfalten. Wird dies so gesehen, dann kann es auch keine Privilegierung geben.

Zurück zur Grundfrage: Kann die persönliche, die rein individuelle Selbstverwirklichung oberste moralische Maxime sein?

Damit stehen wir vor der Frage nach der Grundvorstellung menschlichen Zusammenlebens. Um diese zentrale entscheidende Frage geht es, wenn man an Ehe und Familie zwar nicht als alleiniger Form und einziger Norm menschlichen Zusammenlebens festhält, wohl aber nach wie vor als Leitbild und Leitvorstellung. Das Wort "Leit-" hat ja seit kurzem eine neue Dimension bekommen: Was besagt also Leitbild und Leitvorstellung? Damit Sie mir nichts unterstellen, zitiere ich aus kirchlichen Texten, Sie müssen sich immer das Anführungszeichen mitdenken, aber ich mache mir diese Sätze durchaus zu eigen.

Und ich erinnere auch daran: es ist niemand gezwungen zu heiraten. Die Ehe hat sich freilich als Ort der Treue und der Verlässlichkeit bewährt; und die Familie ist nach wie vor der ursprüngliche Ort der Sozialisation, des Erlebens und Erlernens menschlicher Gemeinschaft und Kommunikation. Deshalb sind Schutz und Förderung von Ehe und Familien Aufgabe und Herausforderung auch für die Politik. Politik schafft zwar nicht Ehe und Familie: diese sind vorstaatlich. Aber politisches Handeln kann das Zusammenleben von Menschen in Ehen und Familie beeinträchtigen, sogar gefährden oder fördern. Wer nicht wahr haben will, dass Ehe und Familie die Grundlage einer humanen Kultur bilden, der ist wirklichkeitsblind. Deswegen ist die rechtliche Regelung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften auch ein Test auf die Stellung zur kulturellen Tradition und zur Einschätzung humaner Lebensformen. Auch evangelische Theologie hat durchaus ein Recht zur Mitsprache, indem sie an die humane und kulturelle Verantwortung der Politik erinnert.

Damit ziehe ich ein Fazit:

Abbau von Diskriminierung mannigfacher Art bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften ist notwendig, das sei am Schluss nochmals gesagt. Eine Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Menschen und Partnerschaften mit der heterosexuellen Ehe überlässt hingegen die Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens der Beliebigkeit und Willkür und verzichtet auf kulturelle Orientierung.

Wenn die Kirchen sich aus diesem Anlass dazu äußern, auch gegenüber der Öffentlichkeit, dann tun sie dies auch im Blick auf eine Mitverantwortung für die Kultur: sie müssen sich selbstverständlich selber auch fragen lassen, wie sie es innerkirchlich in diesem Fall halten. Sie treten jedoch für die Erfahrung ein, dass die soziale Geburt des Menschen im Normalfall in Ehe und Familie erfolgt. Mit dieser Erinnerung leisten sie einen Beitrag zum Gemeinwohl und zur Gestaltung von Kultur.