Frankfurter Erklärung des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU (EAK)

15.06.2001

Die Kirchentagslosung „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ und der Satz auf dem weißen Kirchentagsschal: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, verweben sich zu einer wichtigen und vitalen Aussage des Frankfurter Kirchentages 2001.

 

Der Begriff „Weiter Raum“ steht nicht für Grenzenlosigkeit. Jeder Raum hat seine Grenzen. Grenzen, die von Gott gerade für den Menschen gezogen wurden.

Manche Grenzen erfährt man früher, manche später. Oft sind die Grenzen für uns Menschen auch nur zu ertasten und zu erfühlen, doch sie sind da. Sie schützen uns und geben uns Halt, wenn wir sie greifen. Sie schützen uns vor anderen und vor uns selbst.

Eine wesentliche Grenze ergibt sich aus der Unantastbarkeit der Würde derjenigen, die Gott in die Weite des Raums gestellt hat. In dieser Weite des Raumes ist für Christen Artikel 1 Grundgesetz eine Grundorientierung und Grundsicherheit, die allen Menschen gilt.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Dieser fundamentale Grundsatz – festgeschrieben im Grundgesetz und in der Europäischen Grundrechtecharta – formuliert und sichert den grundlegenden Schutz des Menschen. Der Mensch wird durch diesen Grundsatz zum Rechtssubjekt.

Als Individuum ist jeder Mensch darauf angewiesen, Glied einer Gemeinschaft zu sein, die ihn als Person anerkennt und achtet.

Der Mensch als Person ist nicht durch seine Leistungen definiert, sondern durch sein Gottesverhältnis. Seine Würde ist ihm durch Gott verliehen.

Der Staat und seine Bürgerinnen und Bürger haben die Aufgabe und die Pflicht, alles zu unternehmen, dass jeder Mensch als Rechtssubjekt in Erscheinung treten kann. Wenn dem Menschen diese Möglichkeit, Rechtssubjekt zu sein, geraubt wird, wird er zum bloßen Objekt.

Bisher besteht Konsens, dass der Mensch nie Objekt oder bloßes Mittel zum Zweck werden darf. Der Mensch muss immer Subjekt bleiben.

Dieser Konsens darf nicht gefährdet, geschweige denn aufgehoben werden. Wir stimmen mit dem Bundespräsidenten überein, wenn er sagt: „Ich erinnere immer wieder daran, dass die Geschichte uns hilft – nicht nur uns Deutschen –, zu begreifen, was geschieht, wenn Maßstäbe verrückt werden, wenn Menschen vom Subjekt zum Objekt gemacht werden. Wer einmal anfängt, menschliches Leben zu instrumentalisieren, wer anfängt, zwischen lebenswert und lebensunwert zu unterscheiden, der ist auf einer Bahn ohne Halt. Die Erinnerung daran ist ein immerwährender Appell: Nichts darf über die Würde des einzelnen Menschen gestellt werden. Sein Recht auf Freiheit, auf Selbstbestimmung und auf Achtung seiner Würde darf keinem Zweck geopfert werden.“

Damit ist auch der eindeutig bejahten und grundgesetzlich gesicherten Freiheit der Forschung die entscheidende Grenze gesetzt und klargestellt: Der Schutz menschlicher Embryonen darf nicht eingeschränkt werden. Es muss Konsens bleiben: Die Forschung ist für den Menschen da und nicht umgekehrt. Darum lehnen wir, wie auch der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, gezielte Eingriffe an menschlichen Embryonen, die ihre Schädigung oder Vernichtung in Kauf nehmen, ab.

Mit dem Vorrang des Schutzes der Würde des Menschen sind die Herstellung menschlicher embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken, die Freigabe embryonaler Stammzellen aus sogenannten „überzähligen Embryonen“ und die Präimplantationsdiagnostik nicht zu vereinbaren.

Auch wir wissen um die Hoffnung auf Heilung von schweren Krankheiten, die sich mit den neuen Entwicklungen in der Forschung ergeben kann. Wir vertrauen darauf, dass unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gerade im Bereich der Bio- und Gentechnologie Wege finden werden, um diese berechtigten Hoffnungen unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger zu erfüllen, auch ohne dass menschliches Leben getötet werden muss.

Wir begrüßen ausdrücklich, dass Deutschland - durch die Forschungspolitik der christdemokratisch geführten ehemaligen Bundesregierung - die Nummer eins in der Bio- und Gentechnologie in Europa geworden ist. Das soll auch so bleiben, selbst wenn in diesem Bereich Grenzen zum Schutz des Menschen auch vor den Folgen seiner Forschung gezogen werden müssen.

Wir sind davon überzeugt, dass Freiheit der Wissenschaft und Fortschritt der Technik nur dort wirksam werden können, wo die Würde des Menschen respektiert und die Grenze anerkannt wird. Gerade in dem weiten Raum, in den Gott uns gestellt hat, kann Freiheit nur gelebt werden, wenn Grundwerte anerkannt und Grenzen geachtet werden.

Berlin, den 15.06.2001