Der Begriff „nationaler Ethikrat“ ist eine Anmaßung. Er hat keine demokratisch-parlamentarische Legitimierung. Der „nationale Ethikrat“ ist ein Beratungsgremium des Kanzlers für den Kanzler. Der Bundeskanzler tut zwar gut daran, sich bestmöglichst beraten zu lassen, doch darf er seinem Beratungsgremium nicht das Attribut „national“ beifügen. Dem Gremium wird eine Autorität unterstellt, das ihm in einer parlamentarischen Demokratie nicht zusteht.
Durch die Berufung des Ethikrates besteht die Gefahr, dass die Arbeit der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages missachtet und relativiert wird. Zudem konterkarieren einige Ratsmitglieder von vornherein den Sinn dieses Rates, indem sie durch individuelle Stellungnahmen deutlich machen, wie utopisch es ist, dass der Ethikrat auch nur annäherungsweise zu einem Beratungsvotum in Fragen der Gentechnologie kommen wird.
Das zunehmende Stimmengewirr der Räte schadet der öffentlichen Diskussion, zumal gewichtige Vertreter des Ethikrates, wie der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Ernst-Ludwig Winnacker, ethische Positionen je nach Forschungsstand neu bestimmen. Die kirchlichen Ethikanwälte der Unverletzlichkeit der Menschenwürde, werden es angesichts des immer stärker zu spürenden Soges des Machbarkeitswillens der Wissenschaft und der Wirtschaft schwer haben, das eigene Anliegen öffentlichkeitswirksam zu artikulieren.
Die gemeinsame Stimme der Kirchen ist und bleibt außerhalb des Ethikrates stärker und authentischer. Durch die Kanzlerberufung sind die Kirchen einer politischen Versuchung erlegen. Umsomehr müssen die Kirchen darauf achten, dass auch in deutlicher Unabhängigkeit ihr Wort der christlichen Ethik vernehmbar ist. Damit wäre dann vielleicht der Nation wirklich mehr gedient.
Berlin, den 08.05.2001
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