Einführungsrede von Jochen Borchert (MdB): 6. Berliner Theologisches Gespräch

6. Berliner Theologisches Gespräch
27.03.2001 Vertretung des Landes Baden-Württemberg in Berlin

mit Herrn Prof. Dr. Hartmut Kreß

und Werner Lensing MdB

„Gentechnik – Fluch oder Segen?“

Moderation: Jochen Borchert

Sehr geehrte Damen und Herren,

herzlich begrüße ich Sie zu unserem 6. Berliner Theologischen Gespräch.

Ich freue mich, dass Sie wieder einmal so zahlreich erschienen sind. Sie zeigen uns mit Ihrem Kommen, dass Sie das Gespräch zwischen Politik und Theologie, die Begegnung unter Christen, die in verschiedenen Verantwortungsbereichen in unserem Land tätig sind, als sinnvoll erachten. Danken möchte ich der Landesvertretung Baden-Württembergs, dass sie uns ihre Tore für den heutigen Abend geöffnet hat. Ich glaube, dass es für Sie und für uns durchaus interessant ist, an Orten zu tagen, die ansonsten nicht jedermann zugänglich sind.

Auch heute greifen wir ein Thema auf, das in den letzten Monaten die Zeitschriften gefüllt hat.

Ich spreche von dem großen und weiten und auch sehr anspruchsvollen Bereich der Gentechnologie. Und ich bin sehr froh, dass es uns für diesen Abend wieder einmal gelungen ist, zwei Persönlichkeiten zu uns zu bitten, die jeweils in Ihrem Verantwortungsbereich sich bei diesem Thema einen Namen gemacht haben.

Bitte begrüßen Sie mit mir ganz herzlich Herrn Prof. Hartmut Kreß und den Bundestagsabgeordneten Herrn Werner Lensing.

Ich freue mich meine Herren, dass Sie zu uns, zum Evangelischen Arbeitskreis der CDU/CSU, gekommen sind.

Ich meine, dass wir eine sehr differenzierte Diskussion bei der Frage der Gentechnologie brauchen.

Wir benötigen eine Debatte, in der die ethische Perspektive der Forschung nicht als lästiges Anhängsel, als Bremsblock einer Forschung empfunden wird, die meint, sich ohne die ethische Dimension erst recht frei entfalten zu können.

Forschung dient dem Wohl der Menschen, und gerade die gentechnologische Forschung betont dies immer wieder.

Es ist von daher notwendig, dass dieses Wohl ethisch hinterfragt werden muss, zumal dann, wenn es nicht nur eindeutig positive Seiten dieser Forschung zu beobachten gibt.

Es ist also keinem damit geholfen eine politische Debatte „ohne Scheuklappen“ zu führen wie es der Bundeskanzler jüngst meinte, vielmehr ist es gerade notwendig, von den Voraussetzungen aus zu gehen, die in unserer Gesellschaft in aller Unterschiedlichkeit vorhanden sind.

Und hierzu gehört die Stimme der evangelischen und katholischen Christen in unserem Land, die die Würde des Menschen betont. Eine Stimme, die die Unantastbarkeit dieser Würde im Grundgesetz verankert hat.

Eine Stimme also, die mit gutem Recht mit verfassungskonformer Identität sprechen kann, darf und es auch muss. Mir ist dies vor allem am Anfang des Jahres deutlich geworden.

Mit seinen Äußerungen zur Würde des Menschen, ja vielmehr zur zeitlichen Bestimmung des Beginns der menschlichen Würde hat der Kulturstaatsminister Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin für Widerspruch auch aus christlichen Reihen gesorgt. Auch ich habe mich öffentlich gegen ihn gewandt!

Dies lag allerdings nicht allein daran, dass bei Nida-Rümelin im Ansatz von einer Stufenethik menschlicher Würde gesprochen werden kann, sondern auch, dass er grundsätzlich die Menschenwürde an die Selbstachtung geknüpft hat.

Dies allerdings, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist eine Verkürzung des Menschenwürdebegriffs.

Wenn wir uns in unserer Gesellschaft auf den Weg zu einem verkürzten Menschenwürdebegriff begeben, dann hat dies weitreichende Konsequenzen für unsere Gesellschaft, ja für unser Land!

Und mancher der heute scheinbar locker mit diesem Tatbestand umgeht, der wird erst im Alter oder bei einem Vorfall in der eigenen Familie bemerken, wohin es kommen kann, wenn wir den Begriff der Menschenwürde einschränken.

Wir dürfen aber weder leichtfertig über Embryonen verfügen und Sie als Ersatzteillager für unser Leben und unsere Gesundheit nutzen, noch dürfen wir uns der Gefahr hingeben, Kranke und Alte die Menschenwürde absprechen zu wollen.

Hier ist jeder Eingriff, jede verzerrte Definition ein Schaden, der kaum wieder geheilt werden kann.

Auf unserer Bundestagung, die wir vor rund 10 Tagen in Fulda unter dem Motto: „Das ‚C‘ Anspruch und Herausforderung im 21. Jahrhundert“ abgehalten haben, sagte der kurhessische Bischof, dass allein durch die Ersetzung des Begriffs „Mensch“ durch den der „Person“ in der EU-Charta, vehemente Verschiebungen in der Werteskala menschlichen Seins eintreten können.

Die Bibel nennt den Menschen sehr bewusst „Ebenbild Gottes“. Aus dieser Bestimmung von Gott her und auf Gott hin leiten sich Würde und Rechte jedes einzelnen Menschen ab - und damit auch sein Lebensrecht.

Eine Unterscheidung von wertvollem und weniger wertvollem, gar unwertem Leben verbietet sich. Jeder einzelnen Phase menschlichen Lebens kommt nach christlicher Überzeugung diese Würde zu.

Mit dem Personenbegriff dagegen werden Selbstbewusstsein und Kognition verbunden, also bestimmte geistige und intellektuelle Fähigkeiten. Hier ist deutlich die Gefahr zu sehen, dass Menschen, die diese Fähigkeiten nicht nachweisen können, hinausdefiniert werden und man beginnt über ihr Leben zu verfügen.

Dies gilt aber nicht nur für das Ende des Lebens, sondern auch für den Anfang und damit sind wir unmittelbar in dem Forschungsfeld, das die Gentechnologie berührt.

Die Frage ist, ob wir nicht auf dem besten Wege sind, die Unantastbarkeit der Würde des Menschen der Antastbarkeit zu opfern!

Der Nobelpreisträger James D. Watson bekennt sich deutlich zur Antastbarkeit werdenden Lebens, ja zur Notwendigkeit von Selektion werdenden Lebens.

Und wenn man genau hinhört, gibt es auch in unserem Land immer mehr Stimmen, die sich durch die Gesetze in Deutschland wie dem „Embryonenschutzgesetz“ in Ihrer freien Forschung behindert fühlen. Erst am Wochenende wurden die Forderungen aus einigen Kreisen an die Bundesregierung wieder gerichtet, das Embryonenschutzgesetz fallen zu lassen.

Und die Argumente derer, die sich hier engagieren, machen uns natürlich nachdenklich.

Denn immerhin wird nicht weniger versprochen, als dass etliche Krankheiten, die als Geißel der Menschheit gelten, endlich besiegt werden. Und jeder, der Betroffene kennt, hofft natürlich auf Rettung!

Aber die Frage, die bleibt ist, ob der Einsatz nicht zu hoch ist, um das Leid der Menschen zu mildern!

Und ich meine, das dies der Fall ist: Die Freigabe des im Reagenzglas gezeugten Embryos zu Versuchszwecken, die Entscheidung über Leben und Tod nach genetischen Normen, das umstandslose Entsorgen defekter Embryos - kurz: die Aufgabe des Grundsatzes von der Unverfügbarkeit menschlichen Lebens, das ist ein zu hoher Einsatz für eine Vorstellung, die einem suggeriert, ein Leben führen zu können, das in Zukunft mit Leid nicht mehr rechnet.

Dieses aber ist eine Utopie, das, was schmerzt, wird es auch in Zukunft geben! Und angesichts des eben aufgezeigten Sachverhaltes, frage ich mich, wo in unserer Gesellschaft das Entsetzen bleibt, dass wir uns mitten in einer Diskussion befinden, die über den Wert einzelnen Lebens spricht.

Vielleicht liegt es daran, dass die Meinungsführer, mitten im Leben stehen, also einerseits die Gnade gehabt haben, das Licht der Welt zu erblicken und zwar ohne genetische Prüfung und noch längst nicht in dem Alter sind, dass sie selbst bemerkten, was es heißt, andere über den Wert des eigenen Lebens sprechen zu hören.

Und deshalb ist es notwendig, dass wir das christliche Menschenbild als das wieder ins Gespräch bringen, was es ist: Grund und Ursache der Unantastbarkeit unserer Würde.

Der Evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU wird dieses Thema begleiten und das christliche Menschenbild betonen.

Ich freue mich, dass wir heute zwei profilierte Herren zu diesem Thema geladen haben.

Sie sehr verehrter Herr Prof. Kreß, Sie haben die Nachfolge von Prof. Martin Honecker in Bonn angetreten. Sie waren von 1993-2000 Prof. für Systematische Theologie mit dem Schwerpunkt Ethik an der Theologischen Fakultät in Kiel.

Ihr Forschungsschwerpunkt sind die Grundlagen- und Begründungsfragen der Ethik.

Sie beschäftigen sich mit den Fragen der medizinischen Ethik und der Bioethik.

Zu denen im Rahmen der medizinischen Ethik erörterten Themen gehören u.a. auch der moralische Status von Embryonen und die ethische Bewertung neuer humangenetischer Verfahren.

Erst im letzten Jahr haben Sie einen Aufsatz veröffentlicht, der den Titel trägt: „Menschenwürde vor der Geburt. Grundsatzfragen und gegenwärtige Entscheidungsprobleme.“

Ich freue mich, dass Sie den Weg nach Berlin auf sich genommen haben und bin auf Ihre Ausführungen gespannt.