PM: Großes IDEA-Interview mit Thomas Rachel MdB

31.03.2022

Lesen Sie hier das exklusive Interview der evangelischen Nachrichtenagentur IDEA mit dem kirchen- und religionspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Bundesvorsitzenden des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU (EAK),
Thomas Rachel MdB (Mit freundlicher Genehmigung von IDEA)


IDEA: Herr Rachel, welche Schwerpunkte wollen Sie als religionspolitischer Sprecher Ihrer Fraktion setzen?
Rachel: Mir geht es darum, die Rolle von Religion in Gesellschaft und Politik zu stärken. Ich sehe mit Sorge, dass der Anteil der Christen im Parlament genauso rückläufig ist wie in der Gesellschaft. Wir haben erstmalig einen konfessionslosen Bundeskanzler, und neben ihm gibt es im Regierungskabinett viele Mitglieder, die beim Amtseid auf den Gottesbezug verzichtet haben.

Was macht das in der Politik für einen Unterschied?
Der Gottesbezug, die Verantwortung vor Gott und den Menschen in der Präambel des Grundgesetzes, macht deutlich, dass sich Politik letztlich vor einer höheren Instanz verantworten muss. Das macht einen riesigen Unterschied. Es macht demütiger, weil man als Politiker dann weiß, dass man nur für die vorletzten Dinge zuständig ist.

Auf Ihrer Internetseite weisen Sie auf den Weltverfolgungsindex der christlichen Hilfsorganisation Open Doors hin. Warum ist Ihnen das Thema so wichtig?
Das Recht auf Religionsfreiheit ist ein fundamentales Menschenrecht. Deshalb trete ich für Religionsfreiheit weltweit ein. Das betrifft besonders verfolgte Christen, weil sie unter den Verfolgten die größte Gruppe bilden. Wir müssen solidarisch mit den Glaubensgeschwistern in der Welt sein. Das gilt selbstverständlich genauso für Angehörige anderer Religionen, etwa für die Uiguren in China.

Der Wunsch ist nachvollziehbar. Aber was kann ein einzelner Bundestagsabgeordneter schon für Verfolgte bewirken?
Zuerst: Aufmerksamkeit schaffen. Vor einigen Monaten habe ich zum Beispiel eine Unterschriftenaktion für die Bürgerrechtlerin Maria Kolesnikowa gemacht. Sie hat die Demokratiebewegung in Belarus angeführt und sitzt dafür im Gefängnis. Das Schlimmste, was Menschen, die von Diktatoren in Gefängniskeller eingesperrt werden, passieren kann, ist, dass sie in Vergessenheit geraten. Das Zweite: Wir können für die Menschen beten, die inhaftiert und gefoltert werden. Ein weiteres Beispiel: Ich habe bei der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte für den christlichen Konvertiten Mohammad Mosayebzadeh eine politische Patenschaft übernommen. Er wurde wegen Verbreitung des Christentums vom Islamischen Revolutionsgericht zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Nachdem ihn Sicherheitskräfte zusammenschlugen, verbüßt er nun im Evin-Gefängnis seine Haftstrafe. Auch dort geht es darum, dass der Druck der Weltöffentlichkeit nicht nachlässt. Ich habe Irans Präsidenten Ebrahim Raisi ebenso angeschrieben wie den Präsidenten von Belarus, Alexander Lukaschenko.

Haben Sie eine Antwort erhalten? In beiden Fällen leider nein. Ich habe jedoch ein einstündiges Gespräch mit dem Botschafter von Belarus geführt und ihm mehrere Hundert Unterschriften überreicht. So mache ich das an vielen Stellen, und so habe ich als Schüler mit Politik angefangen. Meine erste Menschenrechtsaktion war für den DDR-Bürgerrechtler Nico Hübner. Er wurde wegen Wehrdienstverweigerung zu fünf Jahren Haft verurteilt. Erich Honecker zeichnete die Anklage- punkte gegen ihn persönlich ab. Nach 13 Monaten wurde Hübner in den Westen abgeschoben. Der öffentliche Druck hat gewirkt. Das erhoffe ich mir auch für die politischen Gefangenen in Ländern wie Belarus und dem Iran. Die jüngste deutsche Geschichte zeigt, dass sich Dinge grundlegend ändern können. Der Wunsch, frei leben zu können, ist so stark, dass er sich auf Dauer durchsetzen wird.

Unionspolitiker bemühen in ihren Reden gern das „christliche Menschenbild“. Was genau damit gemeint ist, wird dabei oft nicht so klar. Können Sie es erklären?
Es geht um eine Politik, die sich von der Hoffnungskraft des christlichen Glaubens und seiner Werte inspirieren lässt. Das sind die universal gültigen Werte des christlichen Menschenbilds, an denen wir uns orientieren. Darum sind wir keine „christliche Partei“, sondern eine Partei, die sich am christlichen Menschenbild orientiert.

Was ist der Unterschied?
Die CDU stellt den einzelnen Menschen als einzigartiges Geschöpf Gottes in den Mittelpunkt ihres politischen Wirkens. Christliche Werte bilden den Kompass, das Fundament unserer Orientierung. Das „C“ ist kein TÜV-Siegel, sondern ein „Stachel im Fleisch“, wie es der frühere Kirchentagspräsident Richard von Weizsäcker (CDU) mal formuliert hat. Dabei ist es in politischen Fragen auch immer wieder möglich, dass Christen in politischen Fragen zu unterschiedlichen Antworten kommen können. Was uns aber eint: Das C im Sinne der der christlichen Verantwortung ist unser Identifikationskern – egal ob wir nun evangelisch, katholisch, freikirchlich oder – so wie meine Frau – orthodox sind. Die CDU ist eigentlich eine revolutionäre Bewegung, denn sie hat die Ökumene, die in den Kirchen erst Jahrzehnte später wuchs, mit ihrer Gründung bereits vorweggenommen.

Andreas Rödder, Professor für Neueste Geschichte, schreibt: „Wenn die Union sich zum C bekennt, dann sollte sie über Parteitagsrituale hinausgehen. Denn wenn sie es als vom christlichen Erbe inspirierte allgemeinpolitische Grundlage ernst nimmt, dann ist das C mehr als ein Wohlfühlfaktor … Das C hält sowohl Substanz als auch Unterscheidungskraft bereit. Eine Union, die sie selbst sein will, kann daraus zukunftsfähige politische Konzepte gewinnen, mit denen sie sich unterscheidet. Aber dazu muss sie ihr Erbe auch wirklich ernst nehmen.“
Ich schätze Herrn Rödder, aber hier unterliegt er einem Missverständnis Das C war nie ein Wohlfühlfaktor, sondern es ist ein Stachel. Es ist herausfordernd, sein eigenes Denken und Handeln stets im Lichte der Verantwortung vor Gott und den Menschen zu hinterfragen und sich gegebenenfalls zu korrigieren.

Herr Rödder hat angeregt, über den Verzicht des C nachzudenken.
Das steht nicht zur Debatte! Damit würde die CDU sich selbst abschaffen.

Eine CDU ohne C wäre so, als ob Coca-Cola auf das Wort „Cola“ im Markennamen verzichten würde.
Ich möchte die CDU nicht mit Cola vergleichen. Es geht der CDU ja nicht um den Markennamen, sondern um unsere christliche Grundeinstellung. Es geht um das, was uns inhaltlich trägt.

Was Deutschland derzeit am meisten bewegt, ist Putins Angriff auf die Ukraine. Es scheint so, als sei auch die Union davon kalt erwischt worden.
Dass Putin einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg durchführen und in ein friedliches Land einmarschieren könnte, hat sich wohl keiner vorstellen können – auch von uns.

Keiner?
Vielleicht hat es irgendjemanden gegeben, aber er wäre die Ausnahme gewesen. Waren wir vielleicht zu naiv? Diese Frage müssen wir uns stellen.

Ihre Parteikollegin, die frühere Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, schrieb: „Ich bin so wütend auf uns, weil wir historisch versagt haben. Wir haben nach Georgien, Krim und Donbass nichts vorbereitet, was Putin wirklich abgeschreckt hätte.“
In meinen Augen haben wir Putin falsch eingeschätzt. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Union ist in den letzten Jahren immer wieder für eine massive Erhöhung des Bundeswehretats eingetreten. Wir sind daran am damaligen Finanzminister und heutigen Bundeskanzler, Olaf Scholz, und an dem Veto seiner SPD gescheitert. Wer sich für die Bundeswehr eingesetzt hat, stand doch immer unter dem Verdacht, ein kalter Krieger zu sein. Dabei ging es uns doch immer nur darum, unsere Soldaten so auszurüsten, dass sie im Falle eines Falles einem Angreifer widerstehen können.

In der EKD warnen viele Theologen sowohl vor einer Aufrüstung der Bundeswehr als auch vor Waffenlieferungen an die Ukraine.
Ich glaube, dass die radikal-pazifistische Sicht gescheitert ist. Wehrhaftigkeit trägt dazu bei, Frieden zu gewährleis- ten. Wenn ein Aggressor seine Machtinteressen auf Kosten anderer Länder und deren Zivilgesellschaft durchsetzt, muss er daran gehindert werden. In der EKD-Friedensdenkschrift von 2007 heißt es richtigerweise, dass die Möglichkeit gewaltloser Mittel immer Vorrang haben muss. Die Anwendung von Gewalt soll immer nur das allerletzte Mittel sein. Wenn ein Volk angegriffen und bombardiert wird, ist es mit christlicher Friedensethik vereinbar, diesem Volk zu helfen – und zwar auch mit Waffen. Das sah schon Martin Luther so: Ein Christ im weltlichen Amte könne zum Wohle des Nächsten Gewalt anwenden, wenn es nicht anders geht, und zur Vermeidung noch größeren Übels.

Zu befürchten ist, dass von der Ukraine nicht viel mehr übrigbleibt als verbrannte Erde.
Das vorherzusagen wäre vermessen. Ich hoffe, dass Putin und seine Machtclique mit ihrem Versuch, die Ukraine zu überrennen und dort ihr Regime zu etablieren, scheitern werden. Wenn Putin nicht in die Reihe von Hitler und Stalin eingereiht werden möchte, sollte er das sinnlose Morden sofort beenden.

Das wird er nicht tun. Er wird weiter Krankenhäuser und Wohnblöcke bombardieren lassen.
Das sind Kriegsverbrechen, und Putin wird das nicht mehr ewig machen können. Die ukrainischen Soldaten kämpfen für die Freiheit ihres Volkes und die Werte Europas und fügen der russischen Armee schwere Verluste zu. Es muss einen Waffenstillstand und eine Verhandlungslösung zwischen Russland und der Ukraine geben.

Tut Deutschland genug, um die Ukraine zu unterstützen?
Nein. Die Waffenlieferungen der Bundesregierung erfolgen nicht in dem angekündigten Umfang. Und wir sollten unsere Energieimporte aus Russland zügig reduzieren, um Putins Krieg nicht länger zu finanzieren. Das alles stößt in der Ukraine auf riesiges Unverständnis. Dazu kommt das Chaos in der Flüchtlingsaufnahme. Polen macht es hervorragend und hat mittlerweile 2,5 Millionen Ukrainer aufgenommen. Sie werden an der Grenze registriert und verteilt. Warum orientiert sich die Bundesregierung nicht daran? Zudem gibt es vom Bund immer noch keine präzisen Kostenzusagen für die Kommunen – hier versagt die Bundesregierung.

Vielen Dank für das Gespräch!